NIKI ELBE
DAS UNFASSBARE BEZEICHNEN - NIKI ELBE: BILDER WIE TRAUMSEQUENZEN
TEXT: JULIA BRODAUF / JUNGE KUNST, Nr. 88
Kleine Bäume mit ballonrunden Kronen, leuchtende Farben. Wurzelballen, deren lose Enden an Blutgefäße erinnern. Auch die Äste und Stämme sind weiße Adern. Eine Frau im schwarzen Kleid drückt ein Bäumchen im Arm, es scheint davonfliegen zu wollen. Die schwarze Farbe mäandert aus ihrem Kleid heraus und bäumt sich im Hintergrund zu einem dominanten Geflecht aus geschwungenen Linien, ebenfalls mit Wurzeln. Drei Figuren, eine davon eine Katze, spielen Gitarre, eine andere Gruppe durchschreitet das Schwarz weit ausholend. Manche sind nackt, einige tragen Totenkopfmasken. Das Bild „In The Woods - The Band (2008)“ befragend, spürt man die Hast der Figuren auf sich übergehen, man hört innerlich dissonante Akkorde, man übernimmt die schwarze Schwere und wird doch durch die betörende Farbigkeit getröstet.
Wie stellt man die Welt dar? Niki Elbe hat dafür eine eigene Semantik. Ihre Bilder sind von wiederkehrenden Gegenständen, Orten und Figuren, von Kostümen, Monstern und Tieren regelrecht bevölkert. Der Raum, in dem sich die Ereignisse abspielen, ist ein offener. Ein innerer Ort auch, nicht von dieser Welt, und dennoch erzählt er von ihr. Er benötigt keine Schwerkraft, keine akademische Perspektive, keinen malerischen Realismus. Und gerade damit öffnet er sich dem Betrachter, erzeugt einen Sog, und befragt direkt das Erleben.
POETISCHER SURREALISMUS
Niki Elbe abstrahiert die Welt zu einem Zeichensystem intuitiver Herkunft. Vieles ist verwoben mit der eigenen Biographie und Gegenwart, doch es sind weniger die konkreten Geschehnisse wichtig, sondern die damit verbundenen Emotionen. Ein nicht ungefährliches Betätigungsfeld: Die Formulierung einer inneren Aufruhr ohne das Abgleiten in Kitsch oder Belanglosigkeit gelingt allgemein selten genug, bei ihr jedoch ist per Bildsprache ausreichende Verfremdung eingebaut, ein lächelnder Code. Die Künstlerin selbst bezeichnet ihr Vorgehen als „poetischen Surrealismus“, surreal darf genannt werden, was die reale Welt mit Mystik oder Traum anmischt. Der Bildauffassung der ursprünglichen Surrealisten, die per écriture automatique einen Zugang zum Unterbewussten suchten, liegt sie tatsächlich nicht so fern, da die symbolische Ebene ihrer Bilder dem Affekt gehorcht. Figuren, die Niki Elbe seit der Kindheit begleiten, wie die des Hasen, der einmal schwer auf der Schulter einer Bildfrau kauert (Miss Brown To You, 2008) oder ein anderes Mal fröhlich in einem Karussell aus Licht tanzt (Wiedersehen, 2007), sind damit Botschaften aus ihrem eigenen Unterbewussten. Auch das Bett und das Brautkleid, die sie in der Vergangenheit auch als skulpturale Objekte umsetzte, fand sie am Wegesrand des Lebens und nutzte sie zum komplexen Gefühlszeichen um.
ARCHAISCH-NAIVES ZEICHENUNIVERSUM
Dennoch erscheinen die Wesen und Objekte auf ihren Bildern nicht planlos. Sie werden versammelt und verdichtet, bis das vollständige Gefühl eine Darstellung gefunden hat. Wie das mit Empfindungen so ist, sind die Bilder bisweilen durchaus schwer zu ertragen. Da wuchert Organisches und Organe, führt die Nacktheit bis zur Scheideninnenwand, bestehen ganze Wälder aus Phalli, überschwemmen Totenköpfe, schwarze Wucherungen und blaue Monster riesige Bildflächen. Das Ganze erstrahlt in einer psychedelisch bunten Farbigkeit, die zunächst lächelnd unschuldig auftritt und doch die Kraft eines Drogenrausches in sich trägt.
Natürlich interessiert sich Niki Elbe für die Zeichensysteme anderer: Gerade archaische Kulturen wie die Schwarzafrikas oder Südamerikas, die reich an eindrucksvollen Fetischen und Masken sind, faszinieren sie. Ein Stipendium führte sie 1999 nach Salvador de Bahia, einer stark afrobrasilianisch geprägten Stadt. Sie beobachtete die dortige, symbolreiche Vermischung der afrikanischen Überlieferungen mit dem Katholizismus und bereicherte daran auch das eigene Vokabular. Wenn sie es allerdings einsetzt, dann wird es seiner ursprünglichen Bedeutung entnabelt und verweist innerhalb der Elbeschen Bildwelt nur noch auf seine direkte, optische und emotionale Wirkung. Der Topos der Verkleidung etwa, den sie in den Bräuchen in Salvador de Bahia beobachten konnte und der nun in Form einer rosafarbenen Hasenmaske in ihren Bildern immer wieder kehrt. Der Maske, die jemand gerne annehmen möchte, unter der sein wahres Sein auch nicht mehr zu erkennen ist, die aber dennoch Hülle bleibt. So schafft Niki Elbe ihre ureigenen Begriffe und findet für jenes, das im Innern und Äußeren nicht zu kontrollieren ist, eine deskriptive Form.Dem Figurenensemble entsprechend, ist ihre Bildsprache durchaus als naiv zu bezeichnen. Die Figuren sind gradlinig gezeichnet, die Flächen plan ausgefüllt, die Proportionen verbogen und Falten, Mimik, Haare und ähnliches zu feinem Ornament heruntergebrochen. So kehrt die Eleganz auf leisem Fuß ins Bild zurück, formuliert zart einen nackten Arm oder eine weiche Hasennase und setzt den brüllenden Farben die feine Tonart entgegen. Die Farben wiederum erzeugen ein leuchtendes Bildlicht und lassen meist viel weiße Luft. Bisweilen allerdings nimmt das Schwarz überhand und spült die Helligkeit aus dem Blatt. Nun sollte das Bild in Dunkelheit ertrinken. Das Gegenteil ist der Fall: Durch den pechschwarzen Hintergrund beginnen die Farben zu leuchten wie ein Laternenumzug.
EXPLODIERENDE FARBIGKEIT
Zeichen und Farben in Niki Elbes Bildern führen immer wieder in die kindliche Wahrnehmung zurück. Wo extreme Gefühle im Spiel sind, ist, wie aus der Psychoanalyse hinlänglich bekannt ist, das Empfinden der Kindheit nie weit. Und auch auf diesem Gebiet gibt es den Begriff der Abstraktion, bezeichnet er den Vorgang, von einem Objekt alles Allge- meine abzuschälen und es auf den mit ihm verbundenen, subjektiven Inhalt zu reduzieren.
Durch den körperlosen Bildraum und die fremdbezugsferne Bevölkerung schafft Niki Elbe eine abstrakte, unabhängige Bildrealität, aus der unwichtige Details ausgeschlossen werden und jegliches Geschehen auf sein Wesentliches konzentriert wird. Wie jede Abstraktion fordert dies die Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeiten des Betrachters heraus.
Die jüngsten Arbeiten von Niki Elbe schlagen einen neuen Ton an. Die Serie „SAFARI“ schickt ein kleines Auto auf eine lange Fahrt durch mysteriöse Bilder. Die freien Kreis- und Linienformen haben sich in Straßen und Kurven verwandelt, schwarz und stringent führen sie durch eine Welt aus der bereits bekannten Vegetation aus Ballon-bäumchen und floralen Formen. Die Reise führt vorbei an magischen Ereignissen, an einem einsamen Wrestling-Kampf beispielsweise. In den neuen Bildern tritt die Künstlerin und mit ihr der Betrachter einen Schritt zurück vom bisherigen Aufruhr. Die seelennahen Bildgetümmel erscheinen nun wiederaufgelegt als Orte, die noch einmal, wie zum Abschied, besucht werden. Damit ist auch die Bildgestaltung zu einer kontrollierteren Ordnung übergegangen und löst sich mehr denn je auf in ein abstraktes Geflecht aus Formen und Linien. Noch ein Element ist neu in diesen Bildern: Der Hintergrund ist ins Fließen geraten. Niki Elbe lässt nun aquarellhaft in Tusche die Farbe erblühen und zu nur leicht kontrollierten, amorphen Vegetationen in Regenbogenfarben anschwellen. Wenn sie auch die Bildbevölkerung nun mit mehr Kalkül auftreten lässt, so hat auf malerischer Ebene das Unkontrollierbare ein neues Spielfeld betreten.