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Nicht von dieser Welt. Das fantastische Universum von Niki Elbe. 

 

von Gesine Borcherdt / Katalog Niki Elbe, Galerie Morgen, 2010

 

Es gibt Kunst, die wirkt auf den ersten Blick harmlos. Farben und Formen erscheinen zunächst einfach nur verspielt, zart, bunt, naiv – ein Eindruck wie aus dem Bilderbuch. Doch es ist genau diese Kunst, die man leicht unterschätzt. Man sieht nicht genau hin und merkt nicht, dass die aufmunternde Farbigkeit und das narrative Gewimmel über das Entscheidende hinwegtäuschen: Diese Kunst ist ein Affront gegen den Verstand. Sie verwirft fröhlich durchkalkulierte Vordergründigkeit und greift eindeutige Untersuchungsergebnisse an – kurz: Diese Kunst formuliert eine Gegenwelt, die gegen alles angeht, was den modernistischen Alltag ausmacht. Niki Elbes Kunst ist so eine Gegenwelt.

 

„Poetischer Surrealismus“, so nennt die Künstlerin selbst ihre Arbeit. Wer ihre filigranen, kindlich  anmutenden Aquarellzeichnungen langsam mit dem Auge abtastet und, wie Niki Elbe sagt, „in ihnen spazieren geht“, begreift, was sie mit dieser Bezeichnung meint: Auf den Papierbahnen spielen sich Szenen ab, in der Betrachter eintaucht wie in eine phantastisches Universum. Es wimmelt, wuchert, wabert – vor dem Auge öffnet sich eine organisch verschlungene Welt aus vielerlei Vegetationen, Abstraktionen, Dingen, Menschen, Mischwesen und vor allem aus Tieren. All das geht ineinander über und mündet in aufwändigen, erstaunlich harmonischen Kompositionen, denen auch psychedelische Knallfarben nichts anhaben können: Neonpink, Quietschgelb, Himmelblau, Froschgrün, Tiefschwarz fügen sich wie von selbst zusammen zu einer bunten Einheitlichkeit.

 

Auch die Bewohner dieser Phantasiewelt stehen in einem seltsam symbiotischen Verhältnis zueinander – obwohl auch sie voller Widersprüche sind: Ein Dämon entpuppt sich als guter Geist, was witzig wirkt, wird zur Gefahr. So erscheinen die gespenstisch grinsenden Minimonster, die sich an die Menschen heften, böse und verspielt zugleich („It May Be Raining But… (There’s a Rainbow Above You)“, 2008). Schwarze und weiße Katzen irritieren mit Grinsen und überlangen Gliedmaßen, treten jedoch in Wahrheit als Tröster und Beschützer auf („Sundowner“, 2008). Ein Cowboy in schwarzem Anzug und pinkfarbener Hasenmaske wirkt in seinem Kostüm beinahe burlesk („Desperado“, 2007) und treibt ein falsches Spiel: Wer in Niki Elbes Zeichnungen liest wie in einem Fortsetzungsroman, der weiß, dass der Hase einen guten Freund und Seelengefährten symbolisiert – der Cowboy tarnt sich mit seinem Antlitz, um sich den ephemeren, zart und verletzlich erscheinenden Frauen zu nähern. Angesichts all dieser Bedeutungen und Geschichten, Symbole und Szenen wird klar, dass in Niki Elbes Welt nichts ist, wie es scheint.

 

Dabei spielen sich die einzelnen Aktionen ab wie in einem Zirkus. Mal tritt nur ein Artist auf, dann mischen sich andere Protagonisten in die Aufführung ein – schließlich laufen viele Aktionen gleichzeitig ab. Doch egal ob Einzelszenen oder Wimmelbild: Niki Elbes Arbeiten sind von einer faszinierenden Energie, die sich mitten zwischen den geschäftigen Wesen entfaltet oder dem Betrachter direkt entgegen strahlt. Wie etwa in „In The Woods – The House“ (2009): Formal geht die kraftvolle Stimmung aus von den treibenden Diagonalen und den dominanten rot-blauen Farbtönen. Motivisch sind es Mann und Löwe im Strahlenkranz, Wolkenstreifen, wogendes Meer, leuchtende Fenster im Haus, die steile Treppe und das Miteinander der Wesen im Garten, die zusammen eine beinahe paradiesische Atmosphäre entfalten.

 

Andere Arbeiten dagegen wirken melancholisch, etwa wenn Niki Elbe Frauenfiguren allein und isoliert darstellt, bedroht von schwarzem Gewürm („In the Woods – The Band“, 2008) oder grausam verstümmelt, wie das Mädchen ohne Hände („In The Woods – Fire“, 2008). Doch trotz ihrer Fragilität und Einsamkeit bewahren diese Figuren ihre Grazie. Mit ihren großen Ohren – für Niki Elbe ein Zeichen für Sensibilität – schweben sie anmutig zwischen den Dingen, die um sie herum platziert sind, oft befinden sie sich in eigenen Räumen innerhalb der Komposition oder sind gebettet in einer vegetabilen Formation, hocken in Landschaften oder stehen vor Zirkuszelten. Wie zufällig tauchen Alltagsgegenstände dazwischen auf: eine Wanne, ein Waschbecken, eine Sitzgruppe aus Gartenmöbeln. Drum herum gleiten abstrakte Bildelemente als riesige Strahlenkränze oder biomorphe Einzelteile umher, fassen die Figuren ein oder fügen sich zwischen sie – trotz der Fülle bleiben alle Bildteile stets geballt beieinander, nichts entflieht der dichten Komposition.

 

Die Enge, in der sich diese Szenen oftmals abspielen, birgt oft auch kleine, sexuell aufgeladene Liebesgeschichten – so wird etwa ein nackter Frauenkörper von einem schwarzen Kater oder einem Hasen umarmt („Sundowner“, 2008; „Radiodays“, 2007), eine maskierte Frauenfigur spreizt offensiv die Beine („In The Woods / Present – Take My Hand“, 2009), eine andere versteckt den Kopf unterm Hut und zeigt den Unterleib vom opulenten Kleid entblößt („ Miami“, 2005). Die Nähe, die der Betrachter zum Bild herstellt, entbirgt also kleine Schockmomente voller Intimität, absurde erotische Begegnungen, die die gesamte Komposition emotional aufladen.

 

Doch so spielerisch Niki Elbes erzählerischer Kosmos dabei erscheint, so schnell kippt er ins Abgründige und Beunruhigende. Die Erotik hat oft etwas Exhibitionistisches oder nur einseitig Freiwilliges. Alpträume, Ängste und Erinnerungen schlagen sich Bahn, wie es oft im Zustand kurz vor dem Einschlafen – oder auch im Übergang zum Tod – geschieht. Tatsächlich tauchen in den Arbeiten immer wieder Totenköpfe, Skelette oder Lichtstrahlen auf, wie ein Wink aus einer anderen Welt.

 

Dabei scheint es, als glitten auch Erinnerungen an entfernte Vorfahren, gute Freunde oder Stofftiere aus dem Kinderzimmer wie Fabelwesen an einem vorbei. So flicht die Künstlerin gelegentlich Motive aus der eigenen Geschichte in ihr Werk ein: Die niederländische Großfamilie, deren Schwarz-Weiß-Porträt im Atelier an der Wand hängt, tritt in einer schwarz grundierten Arbeit mit ungewöhnlich groß gestalteten Teufelsmasken auf. Auch, dass Tiere eine Hauptrolle spielen, jedes eine eigene Persönlichkeit besitzt und oftmals Schutz vor Einsamkeit bietet, erscheint wie ein Rückgriff auf kindliche Fantasien: So symbolisiert der Hase Geborgenheit, die Katzen, die als schwarz-weißes Paar immer wieder in Erscheinung treten, geben gute Energie. Und selbst, wenn der schwarze Kater oft mürrisch blickt oder eine blonde Menschenfrau verführt: Er vermittelt Wärme und Wahrhaftigkeit, während die weiße Katze für Sanftmut und Güte steht – fröhlich tänzelt sie aus dem schwarzen Wald heraus, selbst wenn Flammen aus ihrem Rücken emporschlagen („In The Woods – Fire“, 2008). Es ist dieses Personal mit all seinen seltsamen Eigenschaften, das Niki Elbes Kunst zu einer Fabelwelt macht.

 

Als Pendant zur Naturhaftigkeit der Tiere tauchen immer wieder Bäume oder pflanzenartige Formationen auf, in denen sich die Szenen abspielen und die ihnen Halt oder einen Ort geben. Die Bäume tragen oft nur wenig Blattwerk und sind von einem bunten Nimbus umgeben, der sie wie ein schwebender Ballon in sich birgt: Die Verwurzelung am Boden, woran der Baum normalerweise denken lässt, ist aufgehoben, das Symbol seines Gehalts entkleidet und umrankt die Figuren als spielerisches Ornament – selbst, wenn sich Tragisches abspielt oder Gefahr droht.

 

So eröffnet Niki Elbe mit ihren Zeichnungen ein erzählerisch überbordendes und dennoch leichtfüßiges Panorama des Absurden. Und ähnlich wie die dämonisch-verschmitzten Bildwelten des Kanadiers Marcel Dzama kann das erzählerische Spiel schnell ins Brutale kippen: Wie bei Dzama kommen Cowboys, Katzen und Maskenträger vor, denen Gliedmaßen fehlen oder die in Flammen aufgehen („In The Woods – Fire“, 2008). Auch bei Dzama wirken manche Figuren seltsam steif und unbeteiligt, fast leer, was oft durch das Auslassen von Farbe unterstrichen wird – ähnlich wie die ephemeren Frauenfiguren bei Niki Elbe. Und während bei Dzama geschossen und gesäbelt wird, hängt Niki Elbe schon mal Katzen an den Galgen („Sundowner“, 2008), kleine Monster zerren an einem gelangweilten Brautpaar („It May Be Raining But… (There’s a Rainbow Above You)“, 2008), dem Mädchen am Kamin fehlen die Hände („In The Woods – Fire“, 2008). Das Grauen schreit nicht, sondern findet ganz beiläufig statt.

 

Tatsächlich stammen die nonchalanten Vorbilder für Niki Elbes Menschenfiguren meist aus Hochglanzmagazinen. Mit lässigen Gesten brechen sie aus dem Gewimmel heraus, sie stehen am Rand oder sind nur passiv in das Geschehen eingebunden – ein Widerspruch zu den naiven Wesen mit ihren oft ungelenken Gesten, die sie offenbar kaum wahrnehmen. So bemerkt die Frau im bunten Kleid wohl gar nicht, dass ihr ein riesiger Hase auf dem Rücken hockt („Miss Brown To You“, 2008). Im Alltag spürt man das Pochen unter der Oberfläche eben nicht so leicht.

 

Ein starker Kontrast zu Marcel Dzama ist jedoch Niki Elbes aufdringliche LSD-Ästhetik. Während Dzamas Papierarbeiten in einem bestimmten Rötelton gehalten sind und eine nostalgische, ruhige, weich schmeichelnde Atmosphäre heraufbeschwören, dominiert bei Niki Elbe meist das Bunte und Grelle, dem entweder Pechschwarz oder Blütenweiß entgegen steht. Weder Nostalgie noch Naturalismus sind hier zugelassen. Stattdessen herrscht eine unheimlich inszenierte Abgründigkeit, die dem Betrachter von der erzählerischen Bühne mal gleißend hell, mal tiefdunkel entgegen tritt – plakativ oder dezent, verletzlich oder todgeweiht. 

 

Überhaupt, der Tod: Niki Elbe nutzt die Gratwanderung am Abgrund, um die Welt jenseits des Gewohnten freizulegen. Ähnlich wie die zarten, züngelnden, amputierten Mädchen in den Zeichnungen der italienischen Künstlerin Carol Rama aus den 40er Jahren, bilden auch bei Niki Elbe Krankheit, Deformation, Flucht und Angst die roten Fäden der Aquarelle: Indem die Künstlerin immer wieder die gleichen Zeichen auftreten lässt, spielt sie ein morbides Puppentheater, das mit Wiedererkennungseffekten jongliert. Ein Vorgehen, das an den Filmemacher David Lynch denken lässt, der sich gerne des déjà-vus bedient: Wohl geordnete Heimeligkeit amerikanischer Häuser, hinter denen sich beklemmende Innenräume auftun; bizarr zerfurchte Fratzen der Alten und wunderschöne Frauen, denen Grausames widerfährt – wie bei Niki Elbe kann man sich bei Lynch auf nichts verlassen: das Idyll entpuppt sich als Hölle, der Gesang als Tonband, die Liebe als Illusion. Und auch bei Lynch laufen Erzählstränge ins Leere, Schizophrenie führt zu Höllenängsten, es herrscht Orientierungslosigkeit – Niki Elbes Geschichten vermitteln eine ähnlich beklemmende Stimmung wie der „poetische Surrealismus“ in Kultfilmen wie „Blue Velvet“ oder „Mulholland Drive“. Anders als der Regisseur jedoch, der jede Szene einzeln planen muss, verlässt sich Niki Elbe beim künstlerischen Prozess auf ihre Intuition. Die kompositorische Dichte entsteht unmittelbar, ohne Planung und Vorzeichnung.

 

In diesem Prinzip ähnelt die Künstlerin dem japanischen Trickfilmregisseur Hayao Miyazaki. Auch in seiner spontan hervorgebrachten Bildwelt verschränken sich Mensch und Natur, Tiere und Fabelkreaturen auf phantastische Weise, die an Lewis Carrols Erzählung „Alice im Wunderland“ erinnert – ein Märchen, das auch für Niki Elbe von Bedeutung ist: Das Mädchen, das in eine Märchenwelt fällt, in der Gut und Böse eine seltsame, schwelende Eigendynamik besitzen und nichts planbar oder eindeutig scheint. Wie Miyazaki verzichtet auch Niki Elbe auf eine logische Erzählstruktur in ihren Bildern und verlässt sich auf die Narrationen ihres Unterbewusstseins. In der Literatur wird dieses Verfahren der Aneinanderreihung von gedanklichen Inhalten „stream of consciousness“ genannt: Eine Technik, bei der Gefühle und Wahrnehmungen unmittelbar so auf dem Papier wiedergegeben werden, wie sie sich im Bewusstsein abspielen. James Joyce wendete sie in seinem Monumentalwerk „Ulysses“ aus dem Jahre 1921 an – in einer Zeit, in der sich Künstler und Schriftsteller häufig bei den Traumdeutungen und psychologischen Erkenntnissen Siegmund Freunds bedienten. Mit diesem Streifzug gegen die kalte Ratio des rein positivistischen, fortschrittsgläubigen Industriezeitalters bewegten sich die Surrealisten in der Tradition der Romantiker.

 

Ein Künstler, der dies sicher nicht bewusst tat und sich selbst wohl auch kaum als Künstler sah, war der Hausmeister Henry Darger, der von 1892 bis 1973 in Chicago lebte. Heute zählt er zu den wichtigsten Figuren der sogenannten „Outsider Art“.  Sein aus über 15.000 Blättern bestehendes zeichnerisches Werk, das man nach seinem Tod in seiner Wohnung fand, erzählt von einer ebenso zauberhaften wie grausamen Fantasiewelt, in der filigrane Figuren in sanft aquarellierten Landschaften einander ermorden und verstümmeln. Kein Wunder, dass Niki Elbe von Darger fasziniert ist: Die zwiespältige Märchenhaftigkeit seiner Bilder ähnelt ihrem Werk von Anfang an, ohne dass sie damals von ihm gehört hatte.

 

Der Anfang war, als Niki Elbe von 1991 bis 1998 an der Berliner Hochschule der Künste bei Christiane Möbus studierte. In ihrem Meisterschülerjahr begann sie, neben ihren Zeichnungen auch partizipative Installationen zu bauen. Bis heute handelt es sich dabei um skulpturale Motive, die den Themen der Papierarbeiten entnommen sind – wie etwa Teetassen, die mit den bekannten Figuren bemalt sind, oder ein Bett mit beschriebenen Latten: Es existierte vorher schon auf dem Papier. Besonders ergreifend ist das alte, französische Eisenbett von 2006, bestückt mit Decken und Kissen, aus dem die weinende, wehklagende Stimme der Schauspielerin Carmen Maya Antoni drang.

 

Vielleicht muss man zu dieser Arbeit zurück, um den Kern von Niki Elbes Kunst ganz zu erfassen: Alles, was das Leben ausmacht, geht vom Bett aus – Geburt und Tod, Traum und Alptraum, Sehnsucht und Erinnerung, Klage und Hoffnung, Liebe und Einsamkeit. Niki Elbes Bett scheint solche Geschichten vor sich hin zu summen – in Tönen, die auch ihre Zeichnungen anschlagen. Und das tun sie eben nicht als Begleitmusik zum Alltag, sondern als leise lärmender Tinnitus.

 

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